Jedes anerkannte Beratungs- oder Therapieverfahren bedient sich wissenschaftlich geprüfter Methoden. Die Psychologie ist eine Wissenschaft und bietet klare Kriterien für die Wirksamkeit verschiedener Interventionen. Als Laie verliert man aber schnell den Überblick, was die Unterschiede zwischen den zahlreichen Verfahren überhaupt sind. In diesem Beitrag möchte ich dir deshalb einen Überblick über die Grundsätze der systemischen Beratung und Therapie geben auf die ich meine Beratungssitzungen aufbaue.
Falls du schon Beratungs- oder Therapieerfahrung hast, dann fragst du dich vielleicht: „Was ist denn jetzt der Unterschied zwischen all den Verfahren? Ein Verhaltenstherapeut stellt doch ähnliche Fragen, wie der „Systemiker“ und Aufstellungen gibt es auch in der Psychoanalyse.“
Völlig richtig. Es gibt viele anerkannte Beratungs- und Therapieverfahren. Alle haben sie unterschiedliche Ansätze, und dennoch Gemeinsamkeiten. Natürlich sind die Grenzen zwischen ihnen fließend und es gibt viele Überschneidungen.
Ich bin der Meinung, dass viele Wege nach Rom führen und jeder das passende Verfahren für sich und sein Anliegen finden darf. Und sich auch die Zeit nehmen sollte, dies zu tun.
Meine Beratungen sind nicht strikt „systemisch“. Viel mehr sind meine Fragen, Interventionen und Methoden in meinen systemischen Beratungssitzungen gefärbt von einer systemischen Gundhaltung. Beziehungsweise ziehen sich verschiedene Grundsätze der systemischen Beratung durch die Art meiner Fragestellung und Haltung gegenüber meinen Klient*innen.
Und genau darum soll es in diesem Beitrag gehen. Los geht’s.
Inhaltsverzeichnis
Wertschätzung und „gute Gründe“
Ich begegne jede*r Klient*in mit Wertschätzung (das tut sicherlich auch jeder andere gute Berater oder Therapeut) und ich gehe davon aus, dass jedes noch so „problematische“ Verhalten gute Gründe hat.
Ein Verhalten sehe ich als Lösungsstrategie, um mit gewissen Erfahrungen und Situationen umzugehen.
Ich unterstelle folglich, dass jede Person gute Gründe hat sich zu verhalten, wie sie es tut und, dass dieses Verhalten aus ihrer Sicht nützlich und sinnvoll ist.
Es gibt somit keine Unterteilung in „gutes“ und „schlechtes“ Verhalten. Jedes Verhalten ist sinnvoll für die betreffende Person.
Einbezug des Systems
Zudem wird in den Beratungsprozess das „System“ mit einbezogen. Das System kann völlig unterschiedliche Formen annehmen. Die Familie im engeren oder weiteren Sinn, die Partner, eine Schulklasse, Kolleg*innen eines Teams usw.
Das beklagte Problem oder Verhalten wird im Kontext des Systems betrachtet. Als Beispiel:
Wie beeinflusst das Verhalten der Eltern und die Wechselwirkungen in der Familie, dass die Tochter sich stundenlang still in ihrem Zimmer beschäftigen kann, aber in der Schule durch Stören und ständiges Reden auffällt?
Welche Rolle spielt die Klasse dabei, welche die Lehrer?
Was würde die beste Freundin der Tochter sagen, wenn ich sie zu dem „Problem“ befragen würde? Wer sieht dieses Verhalten überhaupt als „Problem“? Wer nicht?
Hypothesenbildung
Ich formuliere Annahmen und Hypothesen bezüglich der mir geschilderten Anliegen. Diese werden durch gezielte Fragen geprüft, aber eventuell auch wieder verworfen.
Ich habe die Hypothese, dass du enge Beziehungen vermeidest, weil …
Kann es sein, dass du dich so verhälst, um Streit mit XY aus dem Weg zu gehen?
Wie bereits oben erwähnt gibt es viele gute Gründe für ein Verhalten und jedes Verhalten ist immer auch eine Lösungsstrategie.
Im Gegensatz zu einer Aussage, wie „Deine Eltern haben sich getrennt, deshalb BIST du nun so und so.“ Ist dies nur eine Hypothese von vielen. Die Trennung der Eltern könnte eine Rolle gespielt haben, es könnte aber auch andere Gründe geben. Die Trennung könnte sogar gar nichts mit dem geschilderten Problem zu tun haben.
Klient*in als Experte in eigener Sache und Eigenverantwortung
Es geht in der systemischen Beratung oder Therapie nicht darum, jemandem einen richtigen Weg vorzugeben und die eigene Weltansicht den Klient*innen überzustülpen.
Die Klient*in ist Experte in eigener Sache und gibt die Richtung vor. Alleine sie bestimmt, wo die Beratung hinführt und was hilfreich ist und was nicht.
Ich formuliere sehr wohl Hypothesen und gute Ratschläge, denen sich meine Klient*innen bedienen können. Aber es liegt bei der Klient*in, ob sie diese für nützlich hält und für sich verwenden möchte.
Das erscheint vielen am Anfang paradox. „Ich komme doch in die Beratung, weil ich keine Ahnung habe, wie ich mein Problem lösen kann! Ich dachte du kannst mir die Lösung sagen?!“
Natürlich sollen in der Beratung Lösungen gefunden werden, die zum großen Teil durch mich angeboten werden. Die Lösungen erarbeite ich mit meinen Klient*innen jedoch ausschließlich gemeinsam und sie müssen sich für die Klient*in stimmig anfühlen.
Ich sehe das ganze so:
Meine Ratschläge sind ein bunter Blumenstrauß, dem sich die Klient*innen bedienen dürfen. Jede*r sucht genau die Blumen aus, die ihr gefallen.
Dies impliziert einen weiteren Grundsatz der systemischen Beratung: Eigenverantwortung. Die Klient*in trägt eine Eigenverantwortung zur Lösung des Problems. Ich biete den Blumenstrauß an, aber ich werde nicht die passenden Blumen aussuchen und meinem Gegenüber in die Hand drücken.
Die Blumen musst du dir sozusagen selbst nehmen. 🙃
Der nächste ist wohl einer der bekanntesten Grundsätze der systemischen Beratung und Therapie.
Lösungs- und Ressourcenorientierung
Im Fokus der systemischen Beratung und Therapie stehen Lösungen und Ressourcen. Mit Letzteren sollen eben diese Lösungen gefunden werden. Jedes Problem wird wertgeschätzt und bekommt seinen Raum, aber der Fokus liegt verstärkt auf dem Finden von Lösungen.
Dazu ein Zitat von Steve de Shazer. Ein Psychotherapeut, der die systemische Therapie maßgeblich geprägt hat. Er ist bekannt für seine „Lösungsorientierte Kurzzeittherapie“*.
Wenn du zu mir in die Beratung kommst, hast du wahrscheinlich schon einige Tage und Stunden über dein Problem geredet und nachgedacht. Diese „Problemtrance“ möchte ich unterbrechen und dich einladen einen anderen Blick einzunehmen. Gemeinsam nach vorne schauen und den Fokus auf die Lösungen zu richten ist meine Devise.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie durch systemische Interventionen und Methoden in kürzester Zeit Lösungen für bereits jahrelang bestehende Probleme gefunden werden können.
Zu der Ressourcenorientierung möchte ich noch sagen, dass ich die Hypothese vertrete, dass jeder über alle Ressourcen in sich bereits verfügt um sein „Problem“ zu lösen. Dies ist auch ein systemischer Grundsatz.
Ich bin kein Guru, der dich mit Weisheit vollschüttet, sondern eine „Begleiterin“, die dich unterstützt diese verborgenen, bisher unsichtbaren Ressourcen zu finden.
Der beraterische Auftrag
Ich gehe davon aus, dass Klient*innen, die freiwillig zu mir kommen eine Kooperationsbereitschaft mitbringen und mir einen Beratungsauftrag geben. Da meine Beratung für dich völlig freiwillig ist, nehme ich an, dass diese beiden Punkte erfüllt sind.
Nur, wie genau sieht der „Auftrag“ aus?
Einer der zentralen Grundsätze der systemischen Beratung und Therapie ist die „Auftragsklärung“. Worin genau soll ich eigentlich helfen?
Wenn du zu mir kommst, weil du schlecht schlafen kannst und mit mir eine 10-Punkte-Liste für eine bessere Abendroutine erarbeiten willst, dann werden wir genau das zusammen tun.
Ich werde nicht ungefragt versuchen irgendein anderes Problem anzugehen, welches nicht explizit von meinen Klient*innen und mir besprochen wurde und diese mir aufgetragen haben.
Zusammenfassung
Hier nochmal zusammengefasst die Grundsätze der systemischen Beratung und Therapie:
- Wertschätzung und „gute Gründe“
- Das System
- Klient*in als Experte in eigener Sache und Eigenverantwortung
- Lösungs- und Ressourcenorientierung
- Der beraterische Auftrag
Diesen Beitrag habe ich so formuliert, wie ich die Grundsätze der systemischen Beratung und Therapie verinnerlicht habe. Im Seminar damals zu Beginn der Ausbildung habe ich den Beratungsstern nach Hennig und Ehinger kennengelernt.
Ich finde diesen total einprägsam. Du findest ihn in deren Buch über „Das Elterngespräch in der Schule“*. Im Grunde genommen fasst er all die Punkte auf, die ich hier genannt habe. Teilweise wird eine andere Wortwahl verwendet.
Ich hoffe ich konnte dir einen kleinen Einblick in die Grundsätze der systemischen Beratung und Therapie geben. Wenn du dir die Frage stellst, ob die systemische Beratung das Richtige für dich ist, dann habe ich hier einen Beitrag für dich.
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